Mechanismen von Lern- und Erinnerungsprozessen
Lange Zeit konzentrierte sich die Gedächtnisforschung im Wesentlichen auf die Gedächtnisbildung und den Abruf von Erinnerungen. Insbesondere in den Neurowissenschaften wurde gemeinhin angenommen, dass konsolidierte Erinnerungen über die Zeit hinweg relativ stabil wären. Erinnerungen sind jedoch äußerst dynamisch und verändern sich fortwährend. Klassische psychologische Forschungsarbeiten zum „hindsight bias“ oder zum Misinformationseffekt zeigten schon vor Jahrzehnten, dass Erinnerungen durch nachfolgende Informationen verändert werden können. In den kognitiven Neurowissenschaften rückte die Dynamik der Erinnerung jedoch erst vor einigen Jahren in den Fokus der Aufmerksamkeit. Hierbei spielte die Wiederentdeckung des Konzepts der Rekonsolidierung eine zentrale Rolle. Rekonsolidierung bezeichnet einen Prozess der Stabilisierung von Erinnerungen, die, so die Annahme, nach jedem Gedächtnisabruf in einen labilen Zustand überführt würden. Während der Rekonsolidierung können Erinnerungen abgeschwächt, gestärkt oder aktualisiert werden. So fanden wir beispielsweise Hinweise dafür, dass reaktivierte episodische Erinnerungen durch Stress oder neue Lernerfahrungen modifiziert werden können. Mit Hilfe funktioneller Bildgebung konnten wir zudem zeigen, dass die Veränderung von Erinnerungen während der Rekonsolidierung mit Veränderungen in der Aktivität jener Hirnregionen einhergeht, die während des Gedächtnisabrufs aktiv waren.
Eine erfolgreiche Anpassung an sich ständig wandelnde Umgebungen verlangt, dass wir unser Wissen beständig aktualisieren. Die Erforschung der Frage, wie starke Erinnerungen entstehen, wie sie aktualisiert werden können und wie sie sich am effektivsten organisieren lassen, hat offensichtliche Implikationen für Bildungskontexte und nahezu alle anderen Bereiche unseres Alltags. Besonders weitreichende Konsequenzen sind mit dem Phänomen der Gedächtnisrekonsolidierung verbunden. Wenn wir tatsächlich Erinnerungen nach deren Abruf modifizieren können, so könnte dies die Möglichkeit bieten, unerwünschte Erinnerungen bei Patienten zu verändern, die unter Abhängigkeitserkrankungen oder Angststörungen leiden.
Fragestellungen, die wir untersuchen, sind beispielsweise:
- Wie verändert sich die Qualität von Erinnerungen über die Zeit hinweg? Welche Rolle spielt der Hippocampus bei der Erinnerungen an länger zurückliegende Ereignisse?
- Wie gelingt es uns, neue Erfahrungen in bestehende Gedächtnisstrukturen zu integrieren?
- Wie können verschiedene Elemente zu Episoden integriert werden?
Ausgewählte Publikationen zu diesem Themenbereich:
Kluen, L. M., Dandolo, L. C., Jocham, G., & Schwabe, L. (2019). Dorsolateral prefrontal cortex enables updating of established memories. Cerebral Cortex, 29, 4154-4168.
Dandolo, L.C. & Schwabe, L. (2018) Time-dependent memory transformation along the hippocampal anterior-posterior axis. Nature Communications, 9, 1205.
Dandolo, L. C., & Schwabe, L. (2019). Time-dependent motor memory representations in prefrontal cortex. Neuroimage, 197, 143-155.
Kalbe, F., & Schwabe, L. (2020). Beyond arousal: prediction error related to aversive events promotes episodic memory formation. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 46, 234-246.